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Wir Werden Alle Sterben: Das wirkliche Problem mit H5N1 in Milch

Wie gefährlich ist der Vogelgrippe-Ausbruch in Kühen wirklich? Kann die hochinfektiöse Milch eine Pandemie bei Menschen auslösen? Ein Überblick, warum H5N1 derzeit so viele Rätsel aufgibt.
Das wahre Problem mit H5N1 in Milch

Der aktuelle Ausbruch der Vogelgrippe bei Milchkühen in den USA hat die Situation mit H5N1 noch einmal dramatisch verändert. Und zwar unter anderem deshalb, weil dieser Ausbruch sehr unerwartet und rätselhaft ist. In dieser Folge erkläre ich kurz, warum der Ausbruch so überraschend kommt, und natürlich, was das für eine potenzielle Pandemie bei Menschen bedeutet.

Tatsächlich sind Infektionen bei Kühen nicht die erste überraschende Wendung des Vogelgrippe-Subtyps H5N1. Ursprünglich war es eines von diversen Vogelgrippeviren, mit denen sich Menschen bei Geflügel anstecken. H5N1 galt schon immer als besonders gefährlicher Erreger. Seit 2003 haben sich knapp 900 Menschen infiziert, und mehr als die Hälfte ist gestorben. Der Knackpunkt ist aber, dass das Virus bisher nicht effektiv zwischen Menschen übertragen wird.

2020 hat H5N1 uns dann zum ersten Mal überrascht. Eine neue Virusvariante namens 2.3.4.4b tauchte auf, die sich extrem stark unter Wildvögeln verbreitet und sehr tödlich ist. Diese Version von H5N1 hat sich rasch global ausgebreitet und weltweit Millionen Vögel getötet. Dabei haben sich immer wieder auch Säugetiere infiziert, vermutlich weil sie kranke oder tote Vögel gefressen hatten. Hierdurch bekommt das Virus die Gelegenheit, sich besser an Säugetiere anzupassen, und somit auch an Menschen.

Was den Ausbruch so rätselhaft macht

Besonders gefährlich ist es, wenn sich das Virus unkontrolliert in einer Säugetierpopulation verbreitet. Genau das scheint jetzt der Fall bei Milchkühen zu sein. Aber dieser Ausbruch ist derart merkwürdig und ungewöhnlich, dass niemand so recht weiß, was man davon halten soll.

Seltsam ist das zum einen, weil Rinder sich überhaupt nicht mit H5N1 infizieren sollten. Der Erreger ist ein Influenza-A-Virus, und dieser Virentyp befällt Kühe eigentlich nicht. Rinder haben ihre eigene Grippe namens Influenza-D. Warum sich das ausgerechnet jetzt geändert hat, ist unbekannt. Es könnte mit einer weiteren Besonderheit zusammenhängen: Bei den Milchkühen löst H5N1 keinen grippetypischen Atemwegsinfekt aus; das Virus befällt vor allem den Euter – und die Milch enthält große Mengen der Erreger. Das eröffnet dem Keim die Möglichkeit, sich über Melkmaschinen zu verbreiten, und so kommt das Virus auch in die Supermarkt-Milch.

Angesichts des für Grippe untypischen Verhaltens lautet eine zentrale Frage natürlich, wie sich die Kühe gegenseitig anstecken. Laut neuen Daten zirkuliert H5N1 bereits mindestens seit Januar unter den Kühen und hat sich vermutlich viel weiter verbreitet als bisher bekannt. Deswegen ist unwahrscheinlich, dass sich die Tiere alle über das Futter angesteckt haben. Genetische Analysen zeigen, dass der Ausbruch von einer einzelnen Ansteckung ausging. Es muss also einen recht effektiven Übertragungsweg von Kuh zu Kuh geben. Man hat aber laut US-Landwirtschaftsbehörde nur wenig Virusmaterial in den Atemwegen infizierter Kühe gefunden, deswegen sind klassische Atemaerosole als Hauptüberträger eher unwahrscheinlich.

Vermutlich verbreitet sich das Virus hauptsächlich über die Melkanlagen, und zwar entweder über Aerosole beim Reinigen der Anlage, oder durch Kontakt mit der Maschine. Oder beides. Auf jeden Fall ist die Milch extrem infektiös. All das ist völlig seltsam und unerwartet. Bisher haben wir zum Ausbruch bei den Rindern weit mehr Fragen als Antworten.

Milch und die nächste Pandemie

Und das gilt ebenso für die entscheidende Frage: wie gefährlich ist der Ausbruch wirklich für Menschen? Wir wissen inzwischen, dass Katzen sich über die Milch infizierter Kühe anstecken und sehr schnell daran sterben. Das heißt, das Virus in der Milch kann andere Säugetiere infizieren, und damit prinzipiell auch Menschen. Außerdem zeigen genetische Studien, dass sich das Virus in den Kühen weiterentwickelt und eventuell besser an Säugetiere anpasst. Bisher fehlen zwar Mutationen in zwei Genen, die laut früheren Studien wichtig für die Anpassung an Säuger sind. Aber ob die wirklich nötig sind und ob es andere geeignete Kombinationen von Mutationen gibt, wissen wir nicht. Schließlich hat man die entsprechende Forschung vor ein paar Jahren unterbunden. Tja.

Avocados, Katzen, Supervulkane – die Welt ist voller Gefahren. In dieser Videoserie stellen die Spektrum-Redakteure Lars Fischer und Mike Zeitz regelmäßig spannende, ungewöhnliche oder einfach kuriose Dinge vor, die auf die eine oder andere Art zum unerwarteten Frühableben führen können.

Die übrigen Folgen der Serie finden Sie auf dieser Sammelseite.

Die Verbreitung über die Milch macht es aber eher unwahrscheinlich, dass von der infektiösen Milch direkt eine Grippepandemie bei Menschen ausgeht. Das Virus überträgt sich ja von Euter zu Euter und passt sich entsprechend daran an. Man vermutet deswegen, dass die Grippeerreger einen weiteren Säugetier-Zwischenwirt brauchen, in dem sie sich an die Übertragung über die Atemwege anpassen können. Im Moment gucken da viele Leute auf Schweine, weil die so der klassische Brutkasten für pandemische Grippe sind.

Ob es auch irgendwie anders geht, ist unbekannt. Angesichts all der Überraschungen, die wir bisher schon mit H5N1 erlebt haben, wird niemand darauf wetten wollen, dass sich das Virus erwartbar verhält. Außerdem können wir nicht sicher sein, ob wir einen weiteren Zwischenwirt überhaupt rechtzeitig identifizieren würden. Der Ausbruch bei den Milchkühen zeigt das: Es hat Monate gedauert, bis das überhaupt rausgekommen ist.

Sind wir vorbereitet?

Und selbst jetzt wissen wir nicht genau, wie verbreitet H5N1 ist und wie schlimm der Ausbruch wirklich ist. Das ist alles schon etwas beunruhigend angesichts der Gefahr, die von solchen Ausbrüchen ausgeht. Am Anfang hieß es, es seien nur wenige Herden. Und das Virus sei eigentlich harmlos für Kühe. Inzwischen vermutet man landesweit Ausbrüche und neue Daten zeigen, dass Kühe durch H5N1 schwer krank werden. Laut Berichten sind manche Proben von infizierten Kühen nicht mal mit Informationen über Ort und Datum versehen worden, und das ist für mich schon an der Grenze zur Sabotage.

Die gute Nachricht lautet: eigentlich ist die Menschheit so gut auf H5N1 vorbereitet wie auf kein anderes Virus. Sollte tatsächlich ein menschliches Pandemievirus entstehen, haben wir bereits Medikamente, und sogar die Impfstoffproduktion könnte sofort anlaufen. Außerdem wissen wir inzwischen deutlich besser, wie man so einen Atemwegserreger ausbremsen kann. Deswegen sollte man eigentlich annehmen, dass solch eine Grippe uns weniger kalt erwischen wird als die Covid-Pandemie.

Nur: eigentlich sollten im Rahmen dieser Vorbereitung Grippeviren in Nutztieren sehr engmaschig überwacht werden. Und das hat ja nicht so toll geklappt. Wenn der nächste Säugetierwirt von H5N1 wieder ein wertvolles Nutztier ist, wer weiß, wie lange es dauert, bis wir das erfahren? Außerdem hat H5N1 jetzt schon mehrmals völlig unerwartete Sachen gemacht. Allein deswegen sollten wir uns nicht zu sicher sein, dass wir eine mögliche Vogelgrippe-Pandemie rechtzeitig abfangen können.

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